Spiel, Spielzeug oder doch Gamification?

Was ist eigentlich ein Spiel? Und was ist ein Spielzeug? Wie unterscheiden sich diese beiden? Ich werde oft bei Beauftragungen gefragt, ob man nicht Gamification oder ein Spiel einsetzen kann, um die Kundeninteraktion und die emotionale Bindung zu festigen. Neulich sollte ich dazu dann eine Unterrichtsstunde halten, deshalb hier einmal die Kurzzusammenfassung.
Warnung: Nach dem Lesen dieses Posts wirst du die Frage nie wieder wegdenken können und auf Partys eventuell zum Besserwissen neigen ;)

Was ist Spielen?

Der Duden-Eintrag zum Begriff spielen sagt Folgendes:

sich zum Vergnügen, Zeitvertreib und allein aus Freude an der Sache selbst auf irgendeine Weise betätigen, mit etwas beschäftigen

Neben dieser eher trockenen Definition gibt es aber viele Aspekte, die das Spielen - nicht nur bei Menschen - ausmachen. Denn Spielen bietet immer auch eine Gelegenheit zu lernen oder zu trainieren. Die offensichtlichsten Kandidaten sind:

  • Motorik
  • Strategie
  • Kreativität
  • Sozialverhalten
  • Entspannung

Spielen ist also mindestens genauso wichtig wie strukturiertes Lernen.

Beispiele für Spielzeuge und Spiele

Es gibt ein paar völlig unumstrittene Beispiele wie zum Beispiel:

  • Bauklötze (Spielzeug)
  • Schach (Spiel)
  • Memory (Spiel)
  • Schaufel, Eimer, Gießkanne (Spielzeug)

Es fällt relativ einfach diese Begriffe in die eine oder die andere Schublade zu stecken. Wie sieht es bei den folgenden aus?

  • Ball
  • Karten
  • Minecraft

Die Spielkarte oder der Ball an sich sind sicherlich ein Spielzeug. Sobald Regeln dazukommen wird es plötzlich ein Spiel. Was unterscheidet jetzt also Spiele und Spielzeuge.

Neu-Definition Spiel und Spielzeug

Ein Spielzeug zeichnet sich dadurch aus, dass ein Mensch mit einer Sache interagiert, um sich in dem Prozess mit sich selbst zu beschäftigen.

Ein Spiel entsteht durch die Interaktion eines Menschen mit anderen. Diese anderen können andere Menschen sein, auch indirekt über Highscores/Wettstreite mit Spielzeugen. Alternativ kann die Interaktion auch mit virtuellen anderen (in Computerspielen zum Beispiel Nicht-Spieler-Charaktere) stattfinden.

Als Folge daraus erkennt man Spiele gegenüber Spielzeugen häufig am Vorhandensein von Regeln, Bewertungen (Punkte) und klaren Zielen.

Mit dieser Definition kommt man in einer offenen Diskussion oft zu dem Schluss: Der Ball ist ein Spielzeug und Basketball (->Regeln) ein Spiel. Das Beispiel, das in Diskussionsrunden am streitbarsten ist, ist nach wie vor Minecraft. Es kommt (inzwischen nicht mehr nur) als Spielzeug daher und bietet eine große Fläche zur Selbstinteraktion und Selbstverwirklichung. Im Endeffekt wird es aber vornehmlich zur Interaktion mit anderen und für das Erzählen von Geschichten auch mit NPCs verwendet und wird damit unweigerlich zum Spiel.

Und was ist dann Gamification?

Spiele nutzen Methoden, um Spieler:innen zu führen, zu involvieren und zu motivieren. Diese Methoden sollen ein Langzeit-Engagement mit dem Spiel schaffen. Highscorelisten zum Vergleich mit anderen Spieler:innen, Errungenschaften (Achievements) und Instant-Belohnungen (Blink-Effekte, Sounds, Zahlen die hochzählen) sind die gängigsten.

Gamification ist die Übertragung dieser Methoden auf nicht-spielerische Kontexte, zum Beispiel ins Büro zur Teamfestigung. Neben dem Arbeitsumfeld wird Gamification gerne auch in Werbung und Lehre eingebracht.

Stell dir vor, es gibt im Büro ein Whiteboard mit einer Rangliste wer Kolleg:innen am häufigsten Kaffee/Tee mitgebracht hat. Als kleiner positiver Wettbewerb kann das die Arbeitsatmosphäre verbessern. Ein ähnliches Konzept ist die Kür von Mitarbeiter:innen des Monats. (VORSICHT: Die Erfahrung zeigt, dass Wettbewerbe auch kompetitives Verhalten und Ellenbogenkampf begünstigen können. Hier hängt es von den Beteiligten Menschen ab.)

Errungenschaften können so simpel sein wie eine Haftnotiz auf der steht: "Errungenschaft: Überstunden verhindert!" vielleicht mit dem Beisatz: "Lieber X, deine Unterstützung bei Projekt Y hat verhindert, dass mein Team letzte Woche Überstunden machen musste." Manche Firmen haben sogar ein reguläres Feedback-System mit Kudos-Karten (Anerkennung) etabliert. Diese Karten werden in regelmäßigen Abständen von allen angefertigt und dann verteilt. Auch hier ist ein kleiner Wettbewerb versteckt: Wer hat in diesem Zeitraum die meisten Karten bekommen?

Nicht zuletzt ist Direkt-Feedback ein unfassbar mächtiges Werkzeug der Gamification. Mein Lieblingsbeispiel ist ein Test mit öffentlichen Mülleimern in Schweden, bei dem ein Bewegungsmelder und ein Soundeffekt hinzugefügt wurden. Nicht nur wurde der Mülleimer freiwillig und häufiger genutzt, die Menschen haben angefangen umliegenden Müll aufzuheben nur um nochmal mit dem Mülleimer zu spielen.

Ist Plantprogrammer gerade vom Büro zu Mülleimern mit Geräusch gesprungen? Ja. Aber auch im Büro gibt es ein unschätzbar wertvolles Direkt-Feedback, das als Positivbestärkung für gutes Verhalten funktioniert: Ein aufrichtiges, ehrliches Lächeln, als Feedback auf etwas Positives.

Ich habe ein Spielzeug statt ein Spiel geschaffen, was nun?

Zu aller erst: Keine Panik! Viele Spielzeuge erfreuen sich der gleichen Beliebtheit wie Spiele und eventuell passt es sogar besser zu deiner Zielgruppe, ein Spielzeug anzubieten. Die Kernfrage ist: Was möchtest du erreichen? Wenn du möchtest, dass Menschen sich mit deinem Werk beschäftigen, um etwas zu lernen, sich zu erfreuen oder Routinen reibungsfreier zu erledigen, prima, ein Spielzeug erfüllt diesen Zweck wahrscheinlich ausreichend.

Ist dir die Dynamik und Interaktion zwischen Spieler:innen wichtig, musst du das Spielzeug anpassen. Das ist aber nicht schwierig. Die folgenden Fragen leiten durch den Prozess:
1. Was möchte ich genau erreichen?
2. Was ist die kleinste Regel(-änderung), die ich einführen kann, um das zu erreichen? (Pro-Tipp: Frag deine Zielgruppe!)
3. Woran kann ich messen, ob das Ziel erreicht ist?
4. Ist es erreicht? Gratulation! Ist es nicht erreicht? Zurück zu Schritt 1!

Beispiel: Ich habe im Büro eine 250 Meter lange Murmelbahn gebaut und jetzt steht sie da herum und nach zwei Mal ausprobieren interessiert sich niemand mehr dafür. Dabei hatte ich mir erhofft, dass es den Gesprächseinstieg vereinfachen wird und so zum gesellschaftlichen Zentrum wird, bei dem Kolleg:innen ihre Kugeln gegenseitig anfeuern. Was kann ich jetzt ändern, um das zu erreichen.

Idee 1 (Interaktion): Ich könnte Weichen in die Murmelbahn einbauen, die ohne Hilfe von anderen dazu führen, dass die Rolldauer deutlich kürzer ist, wenn nicht jemand die richtige Weiche im richtigen Moment gedreht hält.

Idee 2 (Gamification): Glöckchen! Es kann nicht zu viel Krach machen!

Idee 3 (Sozialgefüge): Jede:r Mitarbeiter:in bekommt eine Murmel pro Woche, die NICHT selbst verwendet werden darf. Sie darf nur verschenkt werden und die Empfänger:in darf sie dann rollen lassen.

Wie kann ich den Erfolg messen? Ich zähle die Anzahl an Murmeln im Ziel pro Woche vor der Änderung und nach der Änderung.

TL;DR

Stark vereinfacht

Aspekt Spielzeug Spiel Gamification
Regeln Keine Feste Ziele und Interaktionen Interaktion
Beschäftigung mit sich selbst und der Sache mit anderen mit (teils unangenehmen) nicht-spielerischen Dingen
gewünschter Effekt Lernen & Spaß (Lernen) & Spaß Spaß