Von Düsseldorf zum Dom - Ich bin dann mal weg...

Vor mehr als 5 Jahren hatte ich die verrückte Idee morgens in Düsseldorf loszulaufen und abends von Köln mit der Bahn zurückzufahren. Jetzt war es soweit. Was vorher und unterwegs passiert ist und wie ich einen Spendenlauf daraus gemacht habe, davon handelt dieser Bericht.

Planung und Zweifel

Samstag, 12 März: Ich wache auf und habe den Eindruck mal wieder vor die Tür gehen zu müssen. Selbständigkeit bedeutet schließlich auch selbständig Urlaub zu nehmen (auch wenn es Einzeltage sind). Ich gehe meinen Kalender durch. Sonntag, schlecht; Montag, schlecht; Dienstag, schlecht.....; Mittwoch, geht so; also Mittwoch, sonst schiebe ich es noch Wochen vor mir her.

Dienstag, 15. März: Aber was wenn das Wetter nicht mitspielt? Ist das überhaupt eine gute Idee dann zu wandern? Naja, erstmal Route planen. Aachener Platz Düsseldorf bis Dom zu Köln, zu Fuß. Google Maps spuckt mir eine Route aus, die fast vollständig entlang einer starkbefahrenen Straße liegt. Das wird dann ja auch gar keine schöne Wanderung... Ich beschließe also einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen und dafür durch den Worringer Bruch zu wandern, um von der Straße wegzukommen. Der Plan ist geschmiedet, ob es aber ein guter Plan ist, will ich nicht heute entscheiden. Ich kann ja morgen früh entscheiden, ob ich losgehe oder nicht.

Die Entscheidung

Ich wache gegen 6:20 Uhr auf, obwohl mein Wecker erst um 6:30 Uhr klingelt. Gemütlich gehe ich meiner Morgenroutine nach, als es mich kurz nach 7 Uhr trifft: "Du wolltest doch heute nach Köln wandern. Oder willst du das doch nicht machen?" Der gesamte innere Dialog war länglich und die Essenz ist: Es gibt so viele gute Gründe NICHT ~40km zu laufen. Außerdem gibt es noch wichtige E-Mails zu schreiben und überhaupt.

Als mein innerer Dialog beim E-Mail-Schreiben angekommen war, war mir sofort klar, das ist das Zeichen, das ich brauchte, und welches sagt, du musst ganz dringend raus. Ich habe dann noch die 2 zeitkritischen Mails kurz beantwortet und den Rest liegen lassen, mir Proviant vorbereitet und meine Wanderschuhe angezogen. "Erstmal los, umkehren kann ich immer noch."

Es war zwischenzeitlich kurz nach 8 Uhr als ich wirklich losgekommen bin. Mit meinem ersten Bild auf der Wanderung von einer der bekannten Landmarken Düsseldorfs, der Fleher Brücke, war dann auch die Motivation schon da.

Der Weg

Im Nachhinein betrachtet, war das sicherlich nicht der schönste Weg, den ich je gewandert bin, was mit den großen Entfernungen entlang der stark befahrenen B9 zusammenhängt, aber irgendwas in mir hat gesagt: "Irgendwann kommst du über diesen Hügel oder an diese Abbiegung und du wirst den Dom von weitem sehen und für die letzten 5-10 Kilometer wieder richtig Energie haben, weil du das Ziel vor Augen hast."

Köln war auch auf vergangenen Wanderungen gut zu erkennen, weil ich den Dom teilweise über 40-50 Kilometer hinweg sehen konnte. Ohne zu viel zu verraten, sei an dieser Stelle schonmal gesagt, dass es deutlich anders war als in meiner romantisierten Vorstellung.

Die Wanderung hat mich durch Dormagen geführt, wo ich nach ca. 1/3 des Weges meine erste Pause gemacht habe. Ich habe mich auf die Mauer eines Seniorenstifts gesetzt und mein Brot gegessen und einfach die Seele baumeln lassen. Und irgendwie hat es mich nicht in Ruhe gelassen, dass ich mir einfach einen Tag rausnehme, durch die Gegend laufe und die Welt Welt sein lasse. Irgendeine Mischung aus dem Blick auf die Flaggen des Trägers vom Seniorenstift und dieser Unruhe haben mich dann auf die Idee gebracht, aus der Wanderung, die ich ohnehin für mich mache, einen Mehrwert zu generieren. Ich hatte die Idee einen Spendenlauf – oder wie wir es zu Schulzeiten genannt haben eine Wohltätigkeitswanderung – daraus zu machen. Bei der Überlegung, wer Empfängerin sein könnte, habe ich überlegt, zumindest einen losen Bezug zur Wanderung herzustellen und habe nach Einrichtungen gesucht, die sich um Missbrauchsopfer kümmern, da das im Moment ein höchstaktuelles Thema meines Zielortes ist. Gefunden habe ich das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. Die kümmern sich unter anderem um Missbrauchsopfer, aber auch um alle anderen Belange von Kindern, also auch um Starthilfe für geflüchtete Kinder und ihre Familien. Weil ich schon unterwegs war, habe ich also ohne groß Werbung einfach auf Twitter zur Spende aufgerufen.

Weiter ging es hinter Dormagen, wo am Rhein entlang relativ viele Anleger mittels komplexer Rohrsysteme von den auf der anderen Straßenseite liegenden Industriekomplexen (u.a. das große B) versorgt werden. Immer wenn ich solche Anlagen sehe, fasziniert mich der Gedanke, dass das Menschen am Computer entworfen haben; mit allen kleinen Rohren, Ventilen, Schräubchen, ... Das war auch das letzte Mal auf der Wanderung, dass ich den Rhein gesehen habe, denn direkt nach den Anlagen habe ich die Bundesstraße verlassen und bin durch Worringen gelaufen. Der Worringer Bruch war ja nur als Umweg gedacht, damit ich nicht die ganze Zeit an der Straße laufe. Und es hat sich gelohnt, meine Streckenhalbzeit und eine weitere Pause hatte ich dadurch am Waldrand.

Was ich nicht wusste, dass mich dieser kleine Umweg über die Bruchstraße führt, die keinen Fußweg hat. Also musste ich für etwas, das sich wie eine Ewigkeit anfühlte an der Straße entlang gehen. Zum Glück war da Tempo 50, es war an einigen Stellen sehr eng.

Leider hat ab hier mein Telefonakku schwach gemacht, weil ich natürlich für die 10 Kilometer entlang der Bundesstraße mein Navi laufen hatte .... Jedenfalls ging es weiter nach Chorweiler mit einem Foto der weiteren Route und hin und wieder nachfragen. Letzteres war Gold wert, da die Route mich an einer Schnellstraße oder Autobahn entlang geführt hätte, die auch nicht so aussah als gäbe es einen Fußweg.

Deutlich erschöpft habe ich dann nochmal Pause gemacht. Ich habe keine Sitzgelegenheit gefunden und mich dann irgendwann einfach auf den Boden gesetzt und etwas gegessen. Hinter mir war ein unfassbar hässliches Gebäude mit doppeltem Zaun und einem Haufen Kameras und Bewegungsmeldern. Ich habe dann zuhause mal nachgeschaut und habe mich offenbar vorm Bundesamt vor Verfassungsschutz auf den Boden gesetzt und meine Schuhe ausgezogen. Da darfst du jetzt als politische Position reinlesen, was du möchtest ;)

Fun-Fact: Wann immer ich gefragt habe: "Was ist der kürzeste Weg zum Hauptbahnhof?", haben die Menschen zunächst mit: Diese oder jene S-/Straßenbahn, der einfachste Weg ist... usw. geantwortet. Nachdem ich dann preisgegeben habe, dass ich zu Fuß von Düsseldorf zum Dom laufe, haben sie tatsächlich ausführlicher einen möglichst kurzen Weg beschrieben.

In Longerich war dann nicht nur mein Akku sondern auch mein Wasser leer. Ich hatte noch eine Flasche Cola dabei, war mir aber nicht sicher, ob das die Strapazen nicht erhöht. Jedenfalls navigierten mich unzählige freundliche Passant:innen zur Bahntrasse und ab da hieß es: "Immer an der Mauer entlang geht es zum Bahnhof, da komm ich gerade [mit dem Fahrrad] auch her. Ist aber weit!" Dieser Nachsatz war sicher immer gut gemeint, für mich aber eine harte Bewährungsprobe. Wie der Zufall so will kam an besagter Mauer gerade eine Person mit ihren zwei Enkelkindern nach hause (die wohnen natürlich nicht in der Mauer sondern in den Häusern auf der anderen Straßenseite) und ich habe gefragt, ob sie mir kurz meine Flasche am Wasserhahn auffüllen würde, weil ich mich mit der Strecke zum Dom verschätzt hätte. Noch bevor ich was anderes sagen konnte drückte man mir eine komplette Flasche stilles Wasser in die Hand und fragte ob ich den Weg auch wüsste.

"Ja klar, immer an der Mauer entlang, hat man mir gesagt." "Genau, immer an der Mauer entlang", bestätigte die Person noch einmal und wir verabschiedeten uns. Das meine Füße schon nicht mehr wollten, ist eine Sache, eine ganz andere allerdings, dass die Mauer irgendwann in Nippes aufhörte (bzw. der Weg von ihr wegführte). Also habe ich nochmal nachgefragt. Inzwischen muss es 15-16 Uhr gewesen sein, ich war völlig fertig, aber fest entschlossen, mein Ziel zu erreichen. Ich habe also nochmal nachgefragt und ich war auf dem richtigen Weg, denn die Antwort war: "Es ist immer geradeaus, bis zum Ebertplatz, durch den Torbogen, und dann auf der linken Seite.", ich war euphorisch, bis der Nachsatz kam: "Ist aber bestimmt noch ne Dreiviertelstunde." Denn die Person hat das so gesagt wie: "Für mich wäre das jetzt eine Dreiviertelstunde." Die Person hatte aber noch nicht 30 Kilometer hinter sich ... Lange Rede kurzer Sinn: In einem Wechselbad der Gefühle, ob ich es jetzt schaffe oder nicht, habe ich mich wieder in Bewegung gesetzt. Ich wusste nicht, wie weit es noch ist, weil ich nicht mehr nachgucken konnte und mich nicht auf Kilometerschätzungen verlassen wollte.

Ich bin also weitergelaufen, immer geradeaus und geradeaus und nach einem Zeitraum, der sich im Rückblick wie etwa 40 Minuten angefühlt hat, kam ich um eine leichte Abbiegung und da war er. Der Kölner Dom, mit seiner einen Spitze. Für einen Moment war ich verwirrt, aber dann ist mir eingefallen, dass ich von Norden komme und vermutlich gerade die zweite genau verdeckt ist. Wenn du dich an den Anfang erinnerst, das Gefühl, das Ziel endlich vor Augen zu haben war überwältigend und gleichzeitig ein bisschen lachhaft. Das große Wahrzeichen Kölns, das ich so oft aus weiter Ferne gesehen habe, ist vom Boden aus bei perfekt ausgerichteter Straße gerade mal einen Kilometer weit zu sehen (ich habe es zuhause nachgemessen).

Den unkontrollierten Tränenfluss ignorierend habe ich weiter einen Schuh vor den anderen gesetzt. Ob meine Füße zu dem Zeitpunkt noch in den Schuhen waren kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Am Ende waren sie mindestens wieder da. Ich bin nach ca. 10 1/2 Stunden am Dom angekommen und hatte keine Möglichkeit wenigstens ein Zielfoto zu machen. Also etwas tun, das ich als Besucher dort immer als unangenehm wahrgenommen habe: Menschen auf der Domplatte ansprechen. Ich hatte auch hier ein bisschen Glück. Nach dem ich etwas unglücklich in eine Trennung reingequatscht habe, die dadurch aber trotzdem nicht verhindern konnte. Habe ich eine Familie getroffen, die selber gerade Fotos gemacht haben. Sie waren kurz etwas zögerlich, als ich sagte, sie müssten das Bild wohl mit ihrem Telefon machen und mir dann schicken, weil mein Akku leer ist, haben sich aber dann am Ende doch dazu bereit erklärt und haben sogar noch eine Nachricht für mich verschickt, damit ich am Düsseldorf Hbf abgeholt werden kann. Und so hatte ich mein Zielfoto nach 36,5 Kilometern Wanderung:

Die letzte Meile

Auf den letzten 1,609 Kilometern hatte ich sehr, sehr viele Gedanken, von denen ich noch zwei teilen möchte.

  1. Alles an dieser Wanderung habe ich frei wählen dürfen; das Wetter, die Verpflegung, das Gepäck, selbst die Entfernung. Und es waren Strapazen, die meinen wohlstandsverwahrlosten Körper an seine Grenzen gebracht haben. Und dennoch habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, wie es sein muss, von heut auf morgen aus einem Kriegsgebiet flüchten zu müssen. Und das bezieht sich weniger auf Heute dieser Gedanke als mehr auf 2014, wo Menschen hundert Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben unter deutlich schlimmeren Bedingungen. Deshalb sollten Menschen (ich inklusive) weniger urteilen, bevor sie nicht verstehen, was die Beweggründe und Lebensrealitäten des Gegenübers sind. Ich für meinen Teil habe festgestellt, dass ich selbst nach so einer Grenzerfahrung (für mich) gar nicht in der Lage sein werde, die Lebensrealität von Kriegsflüchtenden auch nur zu 5% zu verstehen.
  2. Jedes Mal wenn ich mich möglichst weit aus meiner Komfortzone herausbegeben habe, sind unfassbar magische Dinge passiert. Auch bei dieser Wanderung bin ich mit einer Freundlichkeit und Menschlichkeit konfrontiert gewesen, die ich fast nicht mehr kannte, weil ich dieser Tage sehr viel im Internet unterwegs bin. Ich habe beim Nach-dem-Weg-Fragen überhaupt keine Unterschiede gemacht, ob die Person gerade glücklich, traurig, gestresst, unfreundlich oder was auch immer aussah. Und von insgesamt ca. 20 Menschen mit denen ich auf der Wanderung gesprochen habe (mehr als nur Hallo sagen im Wald), haben nur 2 mich weggeschickt. Der Rest war einfach nur aufrichtig hilfsbereit und freundlich. Und so schwierig das in einer Pandemie eben ist, ist mein Fazit, dass ich wieder mehr mit Menschen von Angesicht zu Angesicht sprechen muss als bloß im Internet.

Das Fazit

Ich habe es geschafft, eine relativ alte Idee, zu Fuß nach Köln zu laufen, umzusetzen. Außerdem war das mit 36,5 km meine bisher längste Strecke. Die Strecke war vielleicht nicht hübsch, war aber symbolisch sehr schön, auch weil ich mal ein Gefühl dafür bekommen habe, wie weit Köln und Düsseldorf eigentlich voneinander entfernt waren, bevor fast jeder eine Kutsche oder ein Auto hatte, oder man mal eben so irgendwohin fliegen / bahnfahren konnte. Die Distanz für eine eintägige Wanderung nähert sich einer gewissen Sättigung, sodass ich für die Zukunft mal über mehrtägige Routen nachdenken will. Was den Spendenlauf angeht, ist mein Fazit, dass es eine sinnvolle Idee ist und ich das in der Zukunft bereits in der Planung ankündige, damit Menschen Zeit haben, sich für eine Spende anzumelden.

Der Spendenlauf

Obwohl sehr spät angekündigt und außer bei Twitter nicht beworben, haben sich Menschen gefunden, die im Rahmen der Wanderung spenden. Ich hatte angekündigt, dass ich den Betrag bis zu einer Höhe von 200€ verdoppeln werden. Daraufhin hat sich eine Person anonym gemeldet, die dasselbe tut, also den Grundbetrag bis 200€ doppeln, sodass jetzt im Rahmen der Wanderung "von Düsseldorf zum Dom" durch zwei Spenden und zwei Verdopplungen insgesamt 219€ an Deutsches Kinderhilfswerk e.V. gehen.

Danke!

Danksagung

Ich bin unfassbar dankbar für die Unterstützung bei dieser Wanderung. Besonders hervorheben möchte ich:

  • 73€ anonyme Spende (Dopplung des gesammelten Betrags bis 200€)
  • 36,50€ anonyme Spende
  • 36,50€ Spende von bison (Twitter)
  • Unzählige Menschen, die mir den Weg erklärt haben
  • Die Frau von der Etzelstraße, die mir Wasser gegeben hat
  • Die Familie von der Domplatte, die das Foto gemacht haben und meine Rückreise mitkoordiniert haben.
  • Meine wundervolle Frau, die ohne Fragen zu stellen, einen kriechenden Blob (ehemals Mensch) vom Bahnhof abholt, auch wenn die Nachricht dafür von völlig Fremden kommt