1.1 - Ein verträumter Platz in der Warteschlange

1.1 - Ein verträumter Platz in der Warteschlange

Der Tragekorb bis zum Rand gefüllt. Toast, Käse, Butter, genug 5-Minuten-Terrine für 3 Tage, eine Zitrone. Drei Leute stehen vor mir an der Kasse.

Elke Hübner, Waldstraße 107, 93 Jahre alt, verwitwet vor 6 Jahren, bewahrt alle ihre Juwelen im Bankschließfach auf, seit ihr Mann tot ist, weil sie Angst vor Einbrechern hat.

Davor Rosa Berger, eigentlich Rosalind, aber sie hasst diesen Namen, vorgestern 28 Jahre alt geworden, ledig, hat ein Kind zur Welt gebracht, es aber zur Adoption freigegeben, weil sie ihm keinerlei Liebe entgegenbringen konnte. Ich habe Rosa einmal zum Essen ausgeführt, doch wir haben schnell gemerkt, dass wir nicht zueinander passen. Sie wohnt, nachdem ihre Wohnung vor 4 Wochen, 2 Tagen und 7 Stunden niedergebrannt ist, bei ihren Eltern im Nachbarort, Bachstraße 17.

Und dann ist da noch Ferdinand Markwart, Bankangestellter, Schumann Weg 37a, Haus, Auto, Frau, 2 Kinder 11 und 13, regelmäßiger Streit mit seiner Frau, sie wollen zum Wohle der Kinder zusammen bleiben, bis diese volljährig sind, er selber ist 43 seine Frau feiert übermorgen ihren 40. Geburtstag. Vielleicht sollte ich ... Tüte???

Ich schaue verwirrt auf. "Brauchen Sie eine Tüte? Den Kram werden Sie wohl kaum lose schleppen können", diktiert die Kassenkraft in mein verdattertes Gesicht. "Äh ... ja bitte", antworte ich holprig, "entschuldigen Sie bitte, ich war gerade in Gedanken." Ich schaue in ein ernstes Gesicht, dass sich binnen Sekunden in ein breites Grinsen verwandelt, "wohl mit den Gedanken bei der schnuckeligen Kleinen." Ich grinse süffisant zurück und antworte wie aus der Pistole geschossen: "Aber aber, ich glaube nicht, dass Frau Hübner noch einmal heiraten möchte", ich zwinkere, "nein, ich war mit den Gedanken bei der Arbeit, ich habe eine sehr lange Nachtschicht vor mir."

"Na dann geben Sie mal schön acht auf sich, Schichtdienst soll ja nicht so gesund sein. Und dann noch die ganze Fertignahrung. Nicht, dass sie sich noch zu Tode arbeiten."

"Ich mich? Niemals. Danke für Ihr Mitgefühl. Einen wunderschönen Feierabend, Herr Jaworski, Ihre Kinder freuen sich sicher schon auf Sie."

Ich packe meine Tüte unter den Arm und begebe mich auf den Weg nach Hause. Mich plagt immer und immer wieder dieser eine Gedanke. Ich gebe mir Mühe immer vorbereitet zu erscheinen, aber was wenn sie es irgendwann merken. Was wenn der Schwindel auffliegt. Ich muss abliefern. 2 Stunden noch, dann geht die Arbeit los. 400 Kilometer. Voraussichtliche Dauer 3 Tage. Honorar €22.000, als Bonus darf ich das Auto behalten, wenn es den Auftrag überlebt. Verträge mit obskuren Nebenabsprachen sind sicherlich einer der Vorteile der Selbständigkeit.

Ich packe noch hastig meine Koffer und bringe sie zum Auto. Ein weißer Ford Focus Kombi. Könnte schlimmer sein. Ich setze mich ans Steuer, stecke den Schlüssel ins Zündschloss und drehe ihn, der Auftrag beginnt ...

Mein Name ist Jakob Grieswald. Ich bin Auftragskiller.